Anklage gegen Erdogan-Gegner: Hunderte Jahre Haft für Imamoglu gefordert
Die türkische Staatsanwaltschaft hat für den seit knapp acht Monaten inhaftierten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu am Dienstag eine Haftstrafe von mehr als 2.000 Jahren gefordert. Wie aus der Anklageschrift hervorgeht, wird ihm die Führung eines riesigen Korruptionsnetzwerks vorgeworfen, das dem Staat einen Schaden in Milliardenhöhe zugefügt haben soll. Die Annahme der Anklageschrift durch das Gericht gilt als Formsache.
Dem Istanbuler Generalstaatsanwalt Akin Gürlek zufolge richtet sich die Anklage gegen Imamoglu und 401 weitere Verdächtige. Ihnen werden die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Bestechung, Betrug und die Manipulation von Ausschreibungen vorgeworfen. Das Netzwerk soll dem türkischen Staat über einen Zeitraum von zehn Jahren einen Schaden von 160 Milliarden Lira (umgerechnet 3,61 Milliarden Euro) verursacht haben.
Die rund 4.000 Seiten umfassende Anklageschrift enthält ein Organigramm, das Imamoglu als Gründer und Leiter der kriminellen Gruppe darstellt. Sie beruft sich auf Erkenntnisse der Finanzermittlungsbehörde Masak, Expertenanalysen sowie digitales Material und Videomaterial.
Imamoglu, der als wichtigster politischer Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdogan gilt, sitzt bereits seit März wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft. Das Vorgehen gegen den populären Politiker hatte die größten Proteste seit mehr als zehn Jahren in der Türkei ausgelöst.
Im Juli war der Bürgermeister in einem separaten Verfahren wegen Beleidigung und Bedrohung des Generalstaatsanwalts zu einer Haftstrafe verurteilt worden, gegen die er Berufung eingelegt hat. Imamoglu hat die Anschuldigungen stets zurückgewiesen und als politisch motiviert bezeichnet: Es sei der gezielte Versuch der Regierung, die stärkste Oppositionspartei im Land auszuschalten.
Die Regierung bestreitet den Vorwurf von Imamoglu und seiner Partei CHP, dass das Verfahren politisch gesteuert sei, und verweist auf die Unabhängigkeit der türkischen Gerichte. Internationale Organisationen und auch die EU-Kommission stellen das allerdings infrage.
Die CHP war 2024 überraschend als landesweit stärkste Kraft aus den Kommunalwahlen hervorgegangen – was viele als mögliche Vorstufe zu einer Ablösung der AKP-Regierung von Präsident Erdogan deuteten. Seither steht die säkular ausgerichtete CHP unter Druck. Bisher wurden Hunderte ihrer Mitglieder festgenommen und 17 ihrer Bürgermeister verhaftet.
Die nunmehrige Anklageschrift macht es nicht nur unwahrscheinlicher, dass Imamoglu bei der nächsten Präsidentenwahl antreten kann. Es könnte auch zur Folge haben, dass die Istanbuler Stadtverwaltung unter Zwangsverwaltung gestellt wird. Damit würde die CHP den Zugriff auf erhebliche Ressourcen verlieren.