Madagaskar: Armee verkündet Machtübernahme
Eine Eliteeinheit der Armee hat in Madagaskar am Dienstag nach eigenen Angaben die Führung des ostafrikanischen Landes übernommen. "Ab heute übernehmen wir die Macht und lösen den Senat und den Obersten Verfassungsgerichtshof auf", sagte der Chef der Einheit CAPSAT, Michael Randrianirina, am Dienstag vor dem Präsidentenpalast in der Hauptstadt Antananarivo. "Die Nationalversammlung lassen wir weiterhin arbeiten." Die Armee-Einheit hatte sich bereits am Samstag auf die Seite der Protestierenden geschlagen.
Dienstagfrüh löste der offenbar ins Ausland geflohene Präsident Andry Rajoelina das Parlament auf, um eine Abstimmung zu seiner Absetzung zu verhindern. Diese fand dennoch statt, mit großer Mehrheit votierten die Abgeordneten des Unterhauses für Rajoelinas Entfernung aus dem Amt. Die Präsidentschaft erklärte die Abstimmung für illegal.
Die Proteste in Madagaskar hatten vor rund drei Wochen begonnen. Auslöser waren regelmäßige Stromausfälle sowie Probleme bei der Wasserversorgung. Nach UNO-Angaben wurden seit Beginn der Proteste mindestens 22 Menschen getötet und mehr als 100 weitere verletzt.
Die unter dem Namen "Gen Z" zusammengeschlossene Protestbewegung forderte seit Beginn der Demonstrationen den Rücktritt von Rajoelina, die Auflösung des Senats, des Verfassungsgerichts und der Wahlkommission sowie die strafrechtliche Verfolgung des Geschäftsmannes Mamy Ravatomanga, der Rajoelinas wichtigster Geldgeber sein soll.
Das vor der afrikanischen Ostküste liegende Madagaskar gehört trotz seiner vielen Rohstoffe zu den ärmsten Ländern der Welt. Fast 75 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.
Rajoelina hatte sich am Montagabend über Spekulationen über seine Flucht ins Ausland zu Wort gemeldet. Da sein Leben in Gefahr gewesen sei, sei er "gezwungen gewesen, einen sicheren Ort zu finden", so Rajoelina in einer am Montagabend auf Facebook verbreiteten Videoansprache. Er machte keine Angaben dazu, wo er sich aufhält.
Der französische Sender RFI hatte zuvor berichtet, nach wochenlangen regierungskritischen Protesten sei der Staatschef am Sonntag an Bord einer französischen Militärmaschine nach Le Reunion geflogen und von dort aus mit seiner Familie an einen unbekannten Ort weitergereist.
Die Armee-Einheit CAPSAT hatte sich am Samstag den Protestteilnehmern und -teilnehmerinnen im Zentrum der Hauptstadt Antananarivo angeschlossen. Vor dem Eintreffen der Soldaten hatte die Polizei laut Berichten von Reportern Blendgranaten und Tränengas gegen die Protestierenden eingesetzt, um sie auseinanderzutreiben.
CAPSAT-Soldaten lieferten der Polizei vor einer Kaserne Auseinandersetzungen und fuhren dann mit Armeefahrzeugen in Antananarivo ein, wo sie Reportern zufolge von Tausenden Demonstranten mit Jubel und Dankesrufen empfangen wurden. Die Armee-Einheit hatte zuvor in Onlinediensten erklärt, dass sie "Schießbefehle verweigern" werde. Sie rief zugleich das gesamte Militär sowie Gendarmerie und Polizei zur Befehlsverweigerung auf.
Es war unklar, wie viele Militärangehörige sich dem Aufruf anschlossen. Am Sonntag erklärten CAPSAT-Offiziere schließlich in einer Videobotschaft, dass "von nun an alle Befehle der madagassischen Armee – zu Lande, in der Luft oder zur See – vom CAPSAT-Hauptquartier ausgehen werden".
Später wurde bei einer Zeremonie im Beisein des Ministers der Streitkräfte, General Deramasinjaka Manantsoa Rakotoarivelo, der von CAPSAT nominierte General Demosthene Pikulas zum neuen Armeechef ernannt. Pikulas sagte, die Armee müsse dafür sorgen, "Ruhe und Frieden in ganz Madagaskar wiederherzustellen".
Während am Sonntag in Antananarivo erneut eine Kundgebung und ein Gottesdienst stattfanden, räumten Beamte der Gendarmerie "Fehler und Exzesse während unserer Einsätze" ein. In einer Videobotschaft riefen sie zu "Brüderlichkeit" zwischen Armee und Gendarmerie auf.
Die CAPSAT-Einheit ist in einer Kaserne in Soanierana stationiert, in der bereits 2009 Streitkräfte während eines Volksaufstands gegen die Regierung gemeutert hatten. Im Zuge des damaligen Putsches kam Rajoelina an die Macht; Ende 2023 wurde er bei einer von der Opposition boykottierten Wahl für eine dritte Amtszeit bestätigt.