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Ziel ist Besetzung: Berichte über Bodenoffensive in Gaza-Stadt

Ziel ist Besetzung: Berichte über Bodenoffensive in Gaza-Stadt

Die israelische Armee hat laut mehreren Medienberichten in der Nacht auf heute eine Bodenoffensive zur Besetzung von Gaza-Stadt begonnen. Ziel sei die Zerstörung von Infrastruktur der Terrororganisation Hamas, hieß es. Angehörige der noch immer im Gaza-Streifen festgehaltenen israelischen Geiseln protestierten aus Sorge um deren Leben. Die Hamas erklärte, das liege nun in der Hand Israels.

Die israelische Tagezeitung „Haaretz“ berichtete Dienstagfrüh in einem Liveticker zum mittlerweile 711. Tag des Kriegs im Gazastreifen von schweren Angriffen aus der Luft auf die Stadt und zitierte Verteidigungsminister Israel Katz mit den Worten „Gaza brennt“. Die Armee greife „Terrorinfrastruktur mit eiserner Faust an“.

Die Armee kämpfe „tapfer, um die notwendigen Voraussetzungen für die Freilassung der Geiseln und die Niederlage der Hamas zu schaffen", schrieb Katz auf der Plattform X. „Wir werden nicht nachgeben und wir werden nicht zurückweichen, bis die Mission erfüllt ist.“

Bereits in der Nacht hatte das US-Nachrichtenportal Axios den offensichtlichen Beginn einer Bodenoffensive gegen die Stadt berichtet. Am Wochenende hatte die israelische Armee Bewohnerinnen und Bewohner bestimmter Stadtteile aufgefordert, diese zu verlassen. Dann folgten Luftangriffe unter anderem auf ein Hochhaus.

Israel hatte im August angekündigt, die Armee solle die gesamte Stadt einnehmen. Bisher seien aus Gaza-Stadt, wo sich zuvor rund eine Million Menschen aufgehalten hatten, rund 280.000 geflohen, berichteten israelische Medien am Wochenende. Die Hamas spricht von 350.000 Flüchtlingen. Die humanitäre Situation in und um die Stadt ist extrem kritisch, verschärft durch laufende israelische Angriffe. Zahlreiche Staaten kritisieren Israel dafür scharf, mehrere werfen dem Land Kriegsverbrechen vor.

In weiteren israelischen Medienberichten war nun Dienstagfrüh die Rede von einer ganzen Welle von Angriffen auf „Terrorziele“, ein Sprecher des Generalstabs wurde mit den Worten zitiert. „Das ist erst der Anfang, es gibt eine ganze Liste von Zielen.“ Am Ende solle laut der Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Hamas „ausgerottet“ werden.

Kurz zuvor hatte US-Außenminister Marco Rubio Zweifel geäußert, ob der Gaza-Krieg auf diplomatischem Wege beendet werden kann. „Wenn es also nicht auf diese Weise endet, dann muss es durch einen militärischen Einsatz beendet werden“, sagte er dem US-Sender Fox News. Rubio war am Wochenende zu einem Besuch in Israel eingetroffen.

Laut „Haaretz“ versammelten sich nach Beginn der Militäroffensive Angehörige der israelischen Geiseln vor Netanjahus Privatsitz in Jerusalem zu Protesten, die Polizei sperrte eine Straße. Das Forum der Angehörigen äußerte große Besorgnis aus Angst um deren Leben. Nach 710 Nächten in der Gewalt von Terroristen „könnte heute Nacht die letzte Nacht für die Geiseln sein“, hieß es in einer Erklärung des Angehörigenforums.

Netanjahu entscheide sich bewusst dafür, „sie aus politischen Erwägungen zu opfern“. Er ignoriere dabei völlig die Einschätzungen des Generalstabschefs und der Sicherheitsbehörden, hieß es in der Mitteilung weiter. Israelische Medien berichteten unter Berufung auf palästinensische Quellen, die Hamas habe Geiseln aus unterirdischen Tunneln geholt und in Häuser und Zelte der Stadt gebracht, um die israelische Armee an Einsätzen in bestimmten Gebieten zu hindern.

„Haaretz“ zitierte aus einer Stellungnahme der Hamas, es sie die „terroristische Netanjahu-Regierung“, die nun über das Schicksal der Geiseln entscheide. Im gesamten Gazastreifen befinden sich von ursprünglich mehr als 250 aktuell noch 48 Geiseln, davon sind 20 nach israelischer Einschätzung noch am Leben. „Das israelische Volk wird die Opferung der Geiseln und Soldaten nicht verzeihen“, schrieb das Forum der Angehörigen.

Die israelische Armee hatte in den vergangenen Tagen ihre Luftangriffe in und um Gaza-Stadt herum schrittweise ausgeweitet und zuletzt begonnen, zahlreiche Hochhäuser in der Stadt zu zerstören. Sie wirft der Hamas vor, dort Beobachtungsposten eingerichtet und Sprengsätze platziert zu haben. Bodentruppen waren bisher nicht in der dicht besiedelten Stadt, in der sich vermutlich noch Hunderttausende Menschen aufhalten, hin- und hergetrieben von Luftangriffen, im Einsatz. Nun seien Panzer in die Stadt eingerückt, berichtete das israelische Nachrichtenportal Ynet.

Israel gerät wegen der angekündigten Ausweitung des Gaza-Kriegs zunehmend in die internationale Isolation. Nach einem Luftangriff vergangene Woche auf die Führungsspitze der Hamas im Golf-Emirat Katar forderten Vertreter aus rund 60 arabischen und weiteren islamischen Staaten bei einem Sondergipfel in Doha ein Waffenembargo gegen Israel. Nach Angaben der Hamas war die Attacke in der Hauptstadt fehlgeschlagen, es sei kein Mitglied der Delegation für die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gaza getötet worden.

Aus Sicht Netanjahus hat der Angriff eine klare Botschaft vermittelt: „Ihr könnt euch verstecken, ihr könnt weglaufen, aber wir werden euch erwischen“, sagte er, an führende Mitglieder der Hamas gerichtet. Netanjahu nannte die internationale Kritik an dem Angriff in Katar eine „Heuchelei“. Jedes Land habe das Recht, sich auch jenseits seiner Grenzen gegen jene zu verteidigen, die seine Bürger töten wollten.

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