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Boden unter Chinas Städten sinkt

Boden unter Chinas Städten sinkt

Der Boden unter vielen chinesischen Städten sinkt, und damit steigt das Risiko für Überschwemmungen, vor allem in den dicht besiedelten Küstenregionen. Gründe für den Höhenverlust gibt es mehrere – die andauernde Entnahme von Ressourcen aus dem Boden hat laut einer aktuellen Studie aber einen besonders großen Anteil daran.

Fast die Hälfte der städtischen Gebiete in China (45 Prozent) sinkt mit einer jährlichen Geschwindigkeit von mehr als drei Millimetern. Bei 16 Prozent kommt es sogar zu einem Höhenverlust von mehr als einem Zentimeter pro Jahr – das konnten Forscherinnen und Forscher mehrerer chinesischer Universitäten in einer umfangreichen Untersuchung aufzeigen, die das Team derzeit im Fachjournal „Science“ präsentiert.

Zu den besonders stark betroffenen Städten gehört laut der Studie etwa die Megacity Peking. Auch von Shanghai ist bekannt, dass sich Bereiche davon im vergangenen Jahrhundert bereits bis zu drei Meter absenkten. Im Jahr 2020 lebten laut dem Forschungsteam rund 920 Millionen Menschen in Chinas Städten – davon geschätzt 270 Millionen auf sinkendem Boden.

Mit dem kontinuierlichen Höhenverlust steigt auch das Risiko für Überschwemmungen. Durch die Kombination der Bodenabsenkung mit dem anhaltenden Meeresspiegelanstieg droht in den nächsten hundert Jahren etwa ein Viertel der dicht besiedelten Küstenregionen unter das Meeresspiegelniveau zu sinken.

„Außerdem kommt es dadurch immer öfter zu erheblichen Schäden an der Infrastruktur, etwa an Fundamenten, Gebäuden oder auch Rohrleitungen, sofern die Region nicht einheitlich absinkt“, erklärt der Experte für Klimaanpassung Robert Nicholls von der Universität East Anglia (UK) gegenüber science.ORF.at. Nicholls war an der chinesischen Studie nicht beteiligt, beschäftigt sich aber schon lange mit den Auswirkungen sinkender Landmassen auf der ganzen Welt. Gemeinsam mit dem Geophysiker Manoochehr Shirzaei verfasste er einen Artikel, der zusammen mit den neuen Daten aus China publiziert wurde.

Gründe für den stetigen Höhenverlust der chinesischen Städte gibt es mehrere. „Dazu kann es auf ganz natürliche Weise kommen, etwa, wenn sich die tektonischen Platten verschieben“, erklärt Nicholls. Aber: „Eine der Hauptursachen ist eindeutig der Mensch.“

Davon zeugen auch die Ergebnisse der chinesischen Forscherinnen und Forscher. Problematisch sei vor allem die Entnahme des Grundwassers und das Gewicht der Gebäude. China habe in den vergangenen Jahrzehnten eine der schnellsten und umfangreichsten Stadterweiterungen in der Geschichte der Menschheit erlebt. Die durch die Entnahme des Grundwassers und anderer Ressourcen zunehmend hohlen Böden können dem Gewicht nicht mehr standhalten. „Je mehr Wasser entnommen wird, desto schneller senkt sich der Boden in bestimmten Regionen ab“, so Nicholls.

Für die Untersuchung nutzte das Team aus China Satellitenmessungen vom „Sentinal-1 Interfermetric Synthetic Aperture Radar“ (InSAR), das mit pulsierenden Funkwellen die exakte Distanz zwischen der chinesischen Landmasse und dem Satelliten im All messen konnte. Verbunden mit dem Globalen Positionsermittlungssystem (GPS) konnten die Forscherinnen und Forscher so die genaue Höhenlage von 82 chinesischen Großstädten im Zeitraum von 2015 bis 2022 eruieren.

„Die in der Studie verwendete Methode ist wahrscheinlich die Zukunft aller Messungen dieser Art, weil sie es auch erlaubt, ein recht weitläufiges Gebiet im Auge zu behalten – eventuell wäre das künftig sogar auf globaler Ebene denkbar“, so Nicholls. Um dem Problem faktenbasiert zu begegnen, wäre es laut ihm nötig, derartige Messungen jedenfalls auszuweiten. Denn nicht nur die Städte in China verlieren an Höhe.

„Verschiedene Regionen auf der Welt sind natürlich unterschiedlich stark gefährdet, aber grundsätzlich ist die Absenkung des Bodens auf allen Kontinenten ein Problem.“ Als besonders bekanntes Beispiel außerhalb Chinas nennt er etwa die indonesische Hauptstadt Jakarta, in der mittlerweile mehr als die Hälfte der Flächen unterhalb des Meeresspiegels liegen.

Als Reaktion auf die sinkenden Landmassen gibt es laut Nicholls vor allem zwei Optionen: Einerseits sei in besonders risikobehafteten Gebieten wie etwa den chinesischen Küstenregionen ein Ausbau der Schutzmaßnahmen nötig, um dort künftige Überschwemmungsschäden möglichst zu verhindern.

Andererseits sei es aber auch wichtig, das Absinken des Bodens zu verlangsamen oder im Idealfall sogar ganz aufzuhalten, indem man die Grundwasser- und Ressourcenentnahme aus den Böden schnellstmöglich stoppt und bei der Städteplanung mehr aufpasst.

Dass das grundsätzlich möglich ist, zeige sich etwa am Beispiel Tokio. „Im 20. Jahrhundert sind einige Bereiche der japanischen Hauptstadt mehr als fünf Meter abgesunken. In den 1970er Jahren hat die Regierung dann aber damit begonnen, Alternativen zur Grundwasserversorgung zu errichten und Wasser in den Boden zu pumpen, anstatt es rauszuholen. Der stetige Höhenverlust hat damit fast komplett aufgehört“, so Nicholls.

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