Sorgerechtsstreit: "Waldfamilie" von Palmoli entzweit Italien
Ein Sorgerechtsstreit zwischen einem Jugendgericht mit einer in einem abgelegenen Bauernhaus in der Ortschaft Palmoli (Region Abruzzen) lebenden Familie schlägt in Italien hohe Wellen. Bei dem laufenden Verfahren wurden zuletzt die drei minderjährigen Kinder in eine staatliche Einrichtung gebracht, die Mutter darf diese zeitweise besuchen. Der im Wald zurückgebliebene Vater hofft auf eine erfolgreiche Berufung und erhält dabei breite Unterstützung vonseiten der Bevölkerung – und der Regierung.
Zuletzt stellte sich das zuständige Unterrichtsministerium auf die Seite des britisch-australischen Paares und betrachtete die vom Jugendgericht in der Regionalhauptstadt Aquila infrage gestellte Unterrichtspflicht als erfüllt. Die Schulpflicht sei durch Heimunterricht und auch durch die Unterstützung einer dafür zugelassenen Schule ordnungsgemäß erfüllt worden, wie der öffentlich-rechtliche Sender RAI am Montag aus einer Mitteilung des Ministeriums zitierte.
"Wir verteidigen die Bildungsfreiheit: Gebt die Kinder der Familie zurück, die im Wald lebt", lautet dazu passend das Motto einer von mehreren tausend Unterstützern unterzeichneten Petition. Zudem planen Unterstützer und Unterstützerinnen der Familie Medienberichten zufolge für 6. Dezember eine Solidaritätskundgebung vor dem Familienministerium in Rom.
Die Entscheidung der Eltern, weit außerhalb des Ortes ohne Anschluss an Strom, Wasser und Gas zu leben, sorgt in Italien gleichzeitig für eine heftige Debatte zwischen Befürwortern eines alternativen Lebensmodells und Kritikern, die die Lebensbedingungen der Kinder für unzureichend halten.
Demnach ist die vom Jugendgericht von Aquila vermisste Bestätigung für Heimunterricht auch nur ein Punkt von vielen, weswegen die achtjährige Tochter und die sechsjährigen Zwillinge aus der Waldhütte geholt wurden. Die Rede ist vielmehr von einer Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit, die sich aus den Wohnverhältnissen sowie aus der Weigerung der Eltern ergibt, die gesetzlich vorgeschriebenen Untersuchungen und Behandlungen zuzulassen.
Die Behörden waren bereits im vergangenen Jahr auf die Familie aufmerksam geworden, nachdem die Kinder wegen einer Pilzvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden waren. Eine anschließende Kontrolle der Carabinieri führte zu einer Meldung an die Jugendstaatsanwaltschaft, die die elterliche Obsorge vorübergehend einschränkte – die Kinder blieben jedoch bei der Familie.
Der Anwalt der Familie bezeichnete die Vorwürfe laut RAI als "Unwahrheiten" und ortete gute Chancen, dass die Familie gemeinsam Weihnachten feiern kann. Auch der Vater zeigte sich in diesem Zusammenhang zuversichtlich. "Wir würden gerne bleiben", zitierte RAI den 51-Jährigen. Sollte es bei der Entscheidung des Jugendgerichts bleiben, könnte seine Frau aber mit den Kindern nach Australien ausreisen.
Auch der Bürgermeister von Palmoli, Giuseppe Masciulli, setzte sich nach Angaben der Zeitung "La Repubblica" vom Dienstag für einen Verbleib der Familie in der rund 800 Einwohner und Einwohnerinnen zählenden Ortschaft ein. "Wir können ihnen ein kostenloses Haus anbieten, aber sie sind zu unflexibel", sagte Masciulli der Zeitung zur Entscheidung der Eltern, ihre Kinder inmitten der Natur ohne Strom, fließendes Wasser und Heizung großziehen zu wollen. Man habe sich bewusst für ein Leben abseits der Gesellschaft und toxischer Einflüsse des modernen Lebens entschieden, wie die beiden laut früheren Medienberichten dazu sagten.
Unter den Fürsprechern der "Waldfamilie" findet sich indes auch Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni. Diese erwägt nun offenbar in Absprache mit Justizminister Carlo Nordio, das Verfahren des Jugendgerichts von Aquila von Inspektoren überprüfen zu lassen. Auch Vizepremier Matteo Salvini meldete sich in der Causa bereits zu Wort und kritisierte die Vorgangsweise des Jugendgerichtes scharf.
Der Nationale Richterverband verteidigte das in Aquila gefällte provisorische Urteil als rein auf "technischen Bewertungen" basierende Entscheidung. Damit einher geht die Warnung vor einer "Instrumentalisierung des Falls", bei dem es aus Beobachtersicht aber ohnehin bereits um einen weiteren Schlagabtausch zwischen Italiens Rechtsregierung mit der Justiz geht.